Im letzten Artikel über die Reise durch Nova Scotia hab ich vom Norden dieser kanadischen Provinz berichtet.
Jetzt geht es auf in den zweiten Teil, der mein persönliches Highlight enthält. Irgendwie gibt es so ein Highlight auf jeder Reise. Manchmal geplant, manchmal aber auch überraschend. Für Nova Scotia war es geplant, aber nicht sicher, ob es klappt.
Aber der Reihe nach.
Bay of Fundy bis Digby
Cape Breton Island hatte ich auf einem schnellen Highway verlassen und bin in einem langen, aber gemütlichen Fahrtag bis zur Northumberland Küste unterwegs gewesen. Wie schon so oft – und es sollten noch einige folgen – habe ich einen schönen Campingplatz gefunden, direkt an einem kleinen Strand, wunderbar ruhig gelegen. Eine Runde schwimmen war sogar auch drin.
Der nächste Tag war erneut dem Fahren gewidmet, mit mehreren Abstechern an die Küste, Leuchttürme, kleine Strände und immer wieder diese kleinen Orte mit Holzhäusern und mindestens einer Kirche. Sehr oft sah ich allerdings ein ‚For Sale‘-Zeichen, viele Häuser scheinen leer zu stehen. Inzwischen ist es richtig heiß geworden, etwas womit ich gar nicht gerechnet habe. Teilweise kletterte das Thermometer auf 30°C.
Kurz hatte ich überlegt noch in die kleine kanadische Provinz Prinz Edward Island zu fahren, dort sollen die Strände wunderbar sein. Aber wenn ich ehrlich bin, auf Badeurlaub war ich so gar nicht eingestellt, auch wenn sich die Reise mehr und mehr dazu entwickelte.
Also weiter in eine dieser Touristen-Regionen, die Bay of Fundy. Bezeichnet wird so die große Meerbucht, an der die Westküste von New Brunswick liegt und eben die Ostküste von Nova Scotia. Hier gibt es ein weltweit seltenes und in der Höhe einmaliges Phänomen. Eine extrem hohe Tide. Nicht zu vergleichen mit dem Watt bei uns, sondern eben spannend in der bisher weltweit größten gemessenen Höhe von 17 Metern Tidenhub. Zum Vergleich, in St. Malo in Frankreich erreicht die Höhe knapp 8 Meter, im Turnagain Arm in Alaska (wo ich 2022 war) 12 Meter. Bei Springflut entsteht eine besonderns hohe Welle.
Natürlich gibt es mehrere Orte für Touristen, an denen man diese Tide besonders gut erfahren kann. Bei Ebbe darf dann dort spaziert werden und die Zeiten, wann man jeweils unbedingt wieder zurück kommen muss werden täglich genau angegeben. Auch einige Flussläufe sind von dieser starken Tide geprägt.
Ich habe mir das Spektakel nur aus der Entfernung angesehen, weil ich ja dachte, später winkt bestimmt ein Campingsplatz an der Küste, da kann ich Ebbe und Flut entspannt miterleben. Und genau so kam es.
Endlos konnte ich am Nachmittag am ‚Strand‘ spazieren und abends kam die Flut. Und weil Kanadier so sehr gerne angeln und fischen, saßen sie am Abend mit Stühlchen, Angelrute und den Füßen im Wasser am Ufer. Fangen tut man so nichts, aber es geht um die Geselligkeit.
Eigentlich hätte ich noch einen Tag hier bleiben können, so schön war es. Aber mein nächstes Reiseziel Digby und die Wale warteten schon auf mich 🙂 . So im Vorbeifahren sah ich auf der Strecke ein Schild ‚Landscape of Grand Pré‘ Unesco Kulturerbe. Okay, da fahr ich mal hin. Ich hatte ja keine Ahnung, worum es da ging, aber auf dem Visitor Center wurde ich aufgeklärt. Später sind mir noch weitere Erinnerungsstätten an dieser Küste begegnet. Tatsächlich handelt es sich um ein unrühmliches, grausames Kapitel in der kanadischen Geschichte. Ein Dokumentationszentrum zur Deportation der Akadier, „The Great Upheaval“. Nach diesem Besuch bin ich zügig weiter bis Digby, Scallop Capitol of the World. Ich war gespannt.
Digby, Highlight und das Meer
Neugierig war ich schon auf diese Stadt, die sich ihrer Jakobsmuscheln rühmt. Und natürlich wollte ich welche essen gehen, was muss das muss. Letztlich war ich sogar zweimal essen, weil ich sowohl auf der Hin- als auch Rückfahrt zum ‚Digby Arm‘, einem schmalen Landzipfel, in Digby übernachtet habe. Und es hat sich gelohnt. Zum einen liegt der Campingsplatz relativ dicht am Ort, man kann in ca. einer halben Stunde zu Fuß hinlaufen. Und es gibt nette kleine Geschäfte, viele Restaurants, einen kleinen Hafen und eine Uferpromenade. Also volles Meer-Urlaubsfeeling.
Scallops (Jakobsmuscheln) bei uns sind ja eine Sache, dort eine andere. Ziemlich lecker, ziemliche viele und trotzdem ziemlich teuer. Was einen in so einer Situation nicht wirklich stört.
Am Abend hab ich dann für den übernächsten Tag eine Whale Watching Tour im Zodiac gebucht und mich auf in Richtung Brier Island gemacht. Da wäre ich dann nach dem nördlichsten Zipfel von Nova Scotia auch am östlichsten gewesen und der südlichste folgte in den Tagen darauf.
Auf der wunderbaren Touristen-Straßenkarte war kurz vor der Fähre nach Brier Island ein Campingplatz eingezeichnet, der sollte es werden. Unterwegs gab es allerdings noch eine Sehenswürdigkeit, die gesehen werden wollte. Der Balancing Rock. Muss sich ein wenig erarbeitet werden, 250 Treppenstufen nach einer halben Stunde Weg nach unten. Und natürlich anschließend wieder rauf. Netter Felsen, schöne Küste, Bewegung, was will man mehr.
Wie auch immer ich mein Glück nennen mag oder sagen wir, Campgrounds können sie in Nova Scotia. Zwar sehr teuer, dafür der Hammer. Ich hatte freie Platzwahl, Nebensaison, wenig los und hab mich für den exponierten Aussichtsplatz entschieden. Kann man sich vorstellen, dass man in der entsprechenden Saison hier Wale vorbeiziehen sieht.
Ich hab mich wie so oft auf eine kleine Spazierrunde begeben, an den Felsen entlang mit Lesepause und durch den Wald zurück zu meinem exklusiven Aussichtsplatz.
Ein wenig nervös bin ich in den Tag gestartet, sollte die Whale Watching Tour ja im Zodiac (also ein großes Schlauchboot) stattfinden. Letztes Jahr in Neufundland hatte ich eine Zodiac-Tour zu den Eisbergen gemacht, das hatte prima geklappt. Inzwischen glaube ich fest an die Wirksamkeit der Akkupressur-Reisebänder gegen Seekrankheit, mir haben sie bisher hervorragend geholfen.
Durch die starke Tide ist hier in dieser Gegend allerdings ein sehr starker Wellengang und ich war eben aufgeregt. Als ich dann das Boot für uns neun Passagiere gesehen habe und der Guide sagte, dass die Haltestange am Vortag gebrochen sei und wir uns eben fest am Bootsrand abstützen sollen, wurde mir doch mulmig. Okay, die Fahrt ins offene Meer dauerte gefühlt endlos (es waren 45 Miunten) und wir wurden alle nicht nur kräftig durchgeschüttelt, sondern auch patschnass (nur außen, die Overalls halten schon dicht). An fotografieren oder filmen war allerdings kein denken.
Da wir nach über einer Stunde immer noch keine Wale zu Gesicht bekommen hatten, hätte es eh nur Wasser-Bilder gegeben. Aber dann, nach ca. 90 Minuten, wir waren schon fast am Aufgeben, die erste Fontäne. Und noch eine. Ganz nah. Das ist das tolle am Zodiac, man kann nah ran, während die großen Boote das nicht dürfen. Eine halbe Stunde sind wir den Walen gefolgt, die immer mal wieder auftauchten. Leider nur sehr kurz, weil sie am Fressen waren und dann dicht unter der Wasseroberfläche sind und nicht rausspringen oder die Flosse rausschaut. Egal, alle Schmerzen im Rücken von der wilden Hoppelei war vergessen. Ein echt tolles Erlebnis und ich würde es sofort wieder machen.
Yarmouth, South Shore, Leuchtturm-Route
Wie das immer so ist mit einem Highlight, was kommt danach. Klar, das hallt nach und hält lange vor. Trotzdem tritt, zumindest bei mir, dann sowas wie ‚jetzt muss ich die letzten Tage noch irgendwie gut rumbringen‘ ein.
Das hab ich, und zwar eher so bummelig. fünf Tage hatte ich Zeit für eine Strecke von 2 Tagen. Zeit endlich Urlaub zu machen. So richtig. Ganz ungewohnt für mich, will ich doch immer was sehen, in Bewegung bleiben, was erleben.
Es ging also nach einer weiteren Nacht in Digby ganz gemütlich die Küste entlang gen Süden. Immer wieder Strände, kurze Stops für mich, Füße eintauchen, eine Stunde im Wasser waten und das Meer genießen. Und immer wieder Leuchttürme. Einen besonderen möchte ich herausheben, weil so überraschend. Das ist das Tolle am Reisen ohne Ziel und Stress, einfach mal einem Schild ‚Lighthouse‘ folgen und ein Kleinod finden.
Eigentlich hatte ich schon gefrühstückt, aber diese schnuckelige Teestube im Leuchtturm konnte ich nicht ohne Tee und Muffin verlassen.
Strand und Meer, immer an der Küste entlang. Auch auf der weiteren Fahrt bis Lunenburg. Gefühlt bin ich jeden Küstenschlenker ausgefahren und ständig eine neue Sicht, neue kleine Strände. Es mag mal wolkig gewesen sein, aber ziemlich warm. Zu warm für die Jahreszeit wurde mir gesagt und bei weitem zu trocken.
Die Campingplätze hatten nun Bäume, Gras und Mücken. Das Spray wurde ordentlich eingesetzt und es fing an mich zu nerven. Ich hatte als Rückzugsort nur das Auto und konnte die Fenster nachts zum Schlafen nicht auflassen. Zum Glück gab es ja meistens auch Strand oder, wie in einem Fall, einen wunderbaren See, den ich zum Schwimmen ganz für mich hatte. Und der Platz war auch super schattig.
In einem Provincial Park bei dem kleinen netten Ort Shelburne ganz im Süden hatte ich Vollmond. Wie schön. Im Ort war ich bummeln und essen und im Park konnte ich wandern und den Mond anglotzen. Langsam wurde es echt Zeit mich auf die Heimreise einzustellen.
Einen Park und einen Küstenabschnitt weiter kam ich auf den einzigen Campingplatz, der kein WLAN hatte. Egal wie abgelegen oder einfach, an irgendeiner Stelle eines jeden Platzes gab es WLAN. Unglaublich schön für mich, weil ich ja alleine unterwegs war. Hier war es jetzt echt egal, denn jeden Tag musste das mit dem Internet wirklich nicht sein. Dafür wurde ich mit einem Strand belohnt und einer ausgiebigen Bade- und Sonneneinheit. Es sollte die letzte der Reise sein, aber ich hatte auch nur noch zwei Tage.
Vorletzte Station: Lunenburg. Abgeleitet von Siedlern aus Lüneburg, eine pittoreske kleine Stadt, die sich als Weltkulturerbe entpuppt. Nun denn. So ganz konnte ich es nicht nachvollziehen, putzige kleine Städte gibt es überall auf der Welt. Mein Plan war 2 Nächte zu bleiben, damit ich einen ganzen Tag hatte, die Stadt zu erkunden, im Hafen zu bummeln, vielleicht eine kleine Schiffstour zu machen oder einfach nur im Cafe zu sitzen. Wurde alles nichts. Erst kalter feuchter Nebel, der aufzog, als ich lesend im Hafen saß und so gefesselt war von meinem Buch, dass ich es erst gar nicht merkte. Der nächste Tag brachte Regen, der einzige tagsüber während der gesamten Reise. Da durfte ich gar nicht meckern. Stadtbummeln war ich trotzdem und richtete mich ansonsten lesend im Auto ein.
Für die letzte Nacht hatte ich mir ein Zimmer in einem Bed and Breakfast gebucht. Tatsächlich das einzige Mal. Das Schlafen im Auto ging ganz prima, jaja der Rücken hat schon gezwickt, auch wenn ich mit der Hitze nicht so klar kam. Unbestreitbar ist es super, wenn man nichts abbauen muss, nix nass wird, man Zugriff auf alles hat, einfach alles liegen lassen kann und losfahren. Nach 15 Tagen auf meist relativ einsamen Straßen, leeren Campingplätzen, wenig Touristen und trotzdem immer mal netten Gesprächen, war ich mit dem Andrang in Peggys Cove überfordert. Okay, ich wusste, es ist der meist fotografierte Leuchtturm Kanadas, nicht klar war mir, dass sie vom nahe gelegenen Halifax ganze Busladungen an Touristen hierher karren. Man kann sich trotzdem durch rumspazieren ein wenig dem Rummel entziehen und das Meer, es hat mich wild und rauh verabschiedet, so wie ich es mag.
Nur etwa 6 Kilometer bevor man aus der anderen Richtung zum Leuchtturm und dem Ort Peggys Cove kommt, steht ein Memorial. Eine Kollegin fragte mich nach der Reise, ob es in Nova Scotia nicht jede Menge Kraftorte gäbe. Ich konnte dazu nichts sagen, weil ich gar nicht darauf geachtet hatte. Aber vielleicht sollte man das öfter mal tun. Obwohl, diese so sehr unterschiedlichen Küstenregionen, das Meer in all seinen Schattierungen, was will man eigentlich mehr an Kraftorten versammeln. Und wie so oft, während des Schreibens wird mir bewusst wie viel davon erst so viel später aufkommt. Beim Erzählen, in Gedanken, in der Erinnerung.
Ich schweife ab. Dort an der Küste ist ein Ort, an dem die Anwohner den Passagieren einer 1998 abgestürzten Swiss Air Maschine ein Memorial gesetzt haben. Das ist ein Ort, zu dem ich am nächsten Tag gleich noch einmal hin bin, weil es mich emotional so berührt hat. Warum auch immer ist egal. Man sieht von dort in der Ferne Peggys Cove, aber dieser spezielle Ort ist ganz besonders. Alle denen ich dort begegnet bin, waren still.
Das mag jetzt ein seltsames Ende dieses Reiseberichts sein, weil ich am selben Tag abends in den Flieger nach Frankfurt gestiegen bin. Tatsächlich war das aber der Ort der gesamten Reise, der noch am meisten nachschwingt.