Das Leben, Highlights, Abschiede, kleine Fluchten – ein emotionales Jahr 2022

2022, das Jahr in dem ich 60 wurde. Was eigentlich gar keine so große Rolle hätte spielen sollen, es im Rückblick aber doch tut. Ein für mich persönlich emotional turbulentes Jahr, und das nicht nur aufgrund der weltpolitischen Situation. Die lasse ich – wie fast immer hier in diesem Blog – außen vor. Das können andere besser beschreiben.

Mein Geburtstag ist im März und ich hatte mir gewünscht, dass der 60. besonders werden sollte. Oder besser gesagt, dass das Jahr ein besonderes wird. Und das wurde es dann auch.

Geprägt war 2022 durch Abschiede. Dreimal sehr nahe, persönlich treffend. Mehrfach am Rande, was mich durch die persönlichen Verluste hat emotionaler reagieren lassen als erwartet. Das klingt jetzt erst einmal traurig, das mag ich gar nicht leugnen. Sich von lieben Menschen verabschieden zu müssen war für mich eine sehr emotionale und traurige Sache. Ist es auch immer noch. Aber es gab eben auch diese andere Seite. So schöne Momente, Begegnungen, die aus dem gemeinsamen Abschied nehmen entstanden sind.

Und dann gab es natürlich auch die kleinen Fluchten, die den Alltag so sehr bereichern. Meine Arbeit und die besten KollegInnen von Welt, mit denen jeder Tag in der Buchhandlung so viel Freude macht. Der Weg mit dem Fahrrad, der mir morgendliche Glückgefühle beschert (meistens 😉 ).

Nicht zu vergessen, das Highlight des Jahres, meine Reise nach Alaska.

Alaska und ein erster Abschied

Über die Reise hatte ich bereits in vorangegangenen Artikeln berichtet. Nicht geschrieben habe ich vom Tod unserer Mutter. Das lag mir schon eine ganze Weile auf der Seele, aber es passte einfach nicht. Im persönlichen Jahresrückblick muss sie aber unbedingt einen prominenten Platz erhalten. Weil Trauer, Freude und emotionale Erleichterung so nah beieinander liegen.

Meine Mutter war inzwischen 96 Jahre alt. Die Corona-Jahre haben ihr nicht gut getan, sie war einsam. Mein Vater war 2019 mit 93 gestorben und sie lebte im Altersheim, in dem sie nie heimisch wurde. Sie war kein leichter Mensch und wir hatten ein eher kompliziertes Mutter-Tochter-Verhältnis. Eines, das vermutlich viele Töchter mit Müttern einer Kriegsgeneration haben. Aber wir sind irgendwie miteinander klar gekommen und mir hat diese ganze Situation im Heim, ihre Einsamkeit und dass sie sich an nichts mehr richtig erfreuen konnte, sehr leid getan.

Im Januar ist sie gestürzt und hat sich klassisch den Oberschenkelhals gebrochen. Wir dachten, vermutlich wird sie jetzt aufgeben. Aber die OP hat sie gut überstanden. Sie wollte nicht mehr, aber irgendetwas hat sie immer noch in diesem Leben gehalten. Gefühlt war sie noch nicht fertig.

Ich hatte inzwischen meine Reise nach Alaska gebucht. Geplant nicht richtig, aber das war auch nicht so wichtig, mir liegt das Spontane.

Eine gute Woche vor meinem Abflug Anfang Mai war noch ein Besuchswochenende bei meiner Mutter eingeplant. Sie stand inzwischen nicht mehr auf und aß auch nichts mehr. Am Freitag war ich ein paar Stunden bei ihr und an ihrem Blick konnte ich sehen, dass sie mich sehr wohl erkannt hat. Mein Bruder war mit dabei, der sich all die Jahre gekümmert hat. Reden konnte sie nicht mehr, aber sie war eindeutig aufgeregt.

In der Nacht zum Samstag kam der Anruf, dass sie gestorben ist.

Ich bin mir sicher, dass ich den Gefühlsmix aus Traurigkeit und Erleichterung nicht beschreiben kann. Aber ich denke, jeder kann sich das ungefähr vorstellen.

Was ich beschreiben möchte, ist eine Welle der Dankbarkeit, die mich durchflutete. Dafür, dass ich hingefahren bin. Dafür, dass sie ihren beiden Kindern gezeigt hat, dass sie uns erkennt. Dafür, dass sie endlich loslassen konnte. Dafür, dass sie hat loslassen können, als ich noch da war und nicht schon im Flieger nach Alaska saß. Und ganz besonders dafür, weil mir in diesem Moment klar geworden ist, dass alles gut ist zwischen uns. Weil sie meinem Bruder und mir das Geschenk gemacht hat, dass wir beide zusammen dort waren.

Im Stubaital

Die Beisetzung fand nach meiner Reise statt und es war … schön. Warum? Weil wir gemeinsam mit unserem kleinen Kreis der Verwandtschaft in schönem Rahmen beisammen saßen. Wir sind nicht viele und in alle Winde verstreut. Der Verlust unserer ‚alten‘ Generation hat uns, die wir längst nicht mehr zu den ‚Jüngeren‘ gehören, ein bisschen näher zusammen wachsen lassen. Mir bedeutet das sehr viel.

Für mich war es zudem auch ein Abschied von Trier. Viele Gelegenheiten würde es in Zukunft nicht mehr geben dorthin zu fahren. Ich bin mit diesem Bewusstsein ein paar alte Wege gelaufen und habe mich an der Stadt erfreut, die auf einmal ein wenig an Schwere verloren hatte.

Trier mit Mosel von oben

Zum Highlight

gibts jetzt nur ein paar Fotos, weil davon kann ich gar nicht genug bekommen. Ansonsten gerne hier (Highways) und hier (Highlights) nachlesen. Wie damals schon nach dem Tod unseres Vaters, als ich kurz danach alleine von Seattle nach Chicago unterwegs war, hatte ich auf den langen Strecken durch die grandiose Landschaft Alaskas, viel Zeit zu trauern, zu verarbeiten und ja, auch glücklich zu sein. Ich hab sehr viel an meine Mutter gedacht, die meine Reisen immer ‚begleitet‘ hat, die von der Bergwelt Alaskas begeistert gewesen wäre.

Virtuelle Mitreisende

Ich habe das schon öfter thematisiert, das Alleinreisen. Es birgt so seine Vorteile, vor allem in Form von spontaner Entscheidungsfreiheit. Aber eben auch Nachteile. Einer ist das hin und wieder auftauchende Einsamkeitsgefühl. Oder sagen wir, das ‚tolle Erlebnisse nicht miteinander teilen können‘- Gefühl. Das ist einer der Gründe, warum mir meine Social Media Kanäle wichtig sind. Ich kann andere wenigstens ein bisschen mitreisen lassen und meine Begeisterung mittels Fotos mitteilen.

Eine langjährige liebe Kollegin ist die gesamte Alaska-Reise mit mir mitgereist. Wie ich später erfahren habe, hat sie auch ihre Familie noch mitreisen lassen und meine Fotos und Erzählungen mit ihnen geteilt. Ich freue mich immer darüber, Rückmeldung zu meinen Berichten und Fotos zu erhalten, hier aber war das für mich besonders bewegend. Denn ein paar Wochen später war ich auf ihrer Beerdigung. Ich fand es so sehr schön, dass sie trotz schwerer Krankheit Freude daran hatte, mit jemand anderem mitzureisen, Anteil zu nehmen und vielleicht ein wenig träumen konnte. Nie zuvor habe ich an einer so traurig und zugleich versöhnlich schönen Trauerfeier teilgenommen. So, wie sie es sich gewünscht hat. Ich denke noch ganz oft sie, weil sie so sehr am Leben festgehalten hat und nicht aufgeben wollte.

Kleine und große Fluchten

Während des Jahres und besonders jetzt, am Jahresende, denke ich oft „dieses Jahr habe ich aber wenig unternommen“. Und dann höre ich von Freunden „aber du bist doch ständig unterwegs“.

Der Schein trügt natürlich. Von beiden Seiten aus gesehen.

Scrolle ich durch meine Fotos, weiß ich auch warum. Wir vergessen oft die kleinen Fluchten, die den Alltag durchbrechen und leichter machen. Ich habe dabei auch noch das Vergnügen meinen Arbeitsweg überwiegend mit dem Fahrrad zu bestreiten. Und es sind wirklich wunderschöne 13 Kilometer, die es morgens und abends zu befahren gilt. Nehme ich öffentliche Verkehrsmittel oder selten mal das Auto, ist meine Laune morgens tatsächlich schlechter (nein, keine Sorge, das legt sich schnell wieder 😉 ).

Ich mag es die Jahreszeiten zu durchradeln. Wenn im Winter die Sonne über dem See aufgeht, der Frühling die ersten Blüten treibt, im Sommer das Waldstück Abkühlung verspricht und in meiner Lieblingsjahreszeit, dem Herbst, das Licht so magisch auf dem Land liegt. Irgendwann werde ich mal ausführlicher darüber schreiben 😀 .

Im Wald, Sonne leuchtet durch die Blätter Sonnenaufgang am SeeKleine Fluchten sind meist spontane Tagesausflüge an freien Tagen in die Berge. Zweimal hab ich es dieses Jahr auf die Zugspitze geschafft. Im Februar und im Dezember. In eisiger Kälte, bei strahlendem Sonnenschein wollte ich einfach nur die Berge sehen. Und das war beide Male ein Volltreffer, ein Ausblick, der lange nachhallt.

Wanderungen gab es wenige, ich bin konditionell nicht mehr fit, ein paar Hundert Höhenmeter kann ich mir entlocken, aber bei weitem nicht genug für hohe Gipfel. Es macht nichts, ich muss mir nichts mehr beweisen, ich suche mir machbare Ziele. Ein Alpensee, der umrundet wird, ein Stück mit der Bahn und ein schöner Panoramaweg, eine Alm, Hauptsache hin und wieder raus in die Natur oder die Berge. Radeltouren in der Umgebung, Spaziergänge rund um Augsburg. Oft kostet es Überwindung, die Erfahrung hat mich aber gelehrt, dass es sich lohnt. Auch das schulde ich der Zahl ’60‘, dass es mir neben einem Vollzeitjob nicht mehr so leicht fällt an einem freien Tag früh aufzustehen, um in die Berge zu fahren. Schaffe ich es, läuft es immer auf Glücksgefühle hinaus. Also heißt das Motto „dran bleiben“!

Stubaital – Geschwisterwoche

Unsere Geschwisterwochen werden schwieriger, weil mein Bruder nun glücklicherweise nicht mehr angebunden ist. Wir haben es im Sommer für eine Woche ins Stubaital geschafft. Nach anfänglichen Rangeleien – ja, auch unter 60jährigen Geschwistern noch vorhanden 🙂 – war es eine tolle Woche. Ich habe mehr geschafft, als ich mir anfangs zugetraut und vorgenommen hatte. Zwei richtig tolle Touren gemacht, Ruhetage, eine Lieblingswanderung, Ausflug auf den fast nicht mehr vorhandenen Gletscher mit grandiosem Ausblick. Immer in Gedanken mit dabei unsere Mutter, die in ihrem Leben im Stubaital ihre glücklichsten Tage verbracht hat. So oft kam uns der Gedanke ‚das müssen wir fotografieren und ihr zeigen‘ oder ‚ihr erzählen‘. Ist das nicht toll, so an einen Menschen denken zu können?

Hart getroffen, Schönes daraus entsprungen

Ich kann meinen Jahresrückblick natürlich nicht ohne den Abschied von Charlotte verfassen. Ich habe darüber geschrieben und ihr wisst, wie hart mich das getroffen hat. Aber darum soll es heute hier gar nicht gehen. Charlotte war so lange ein Teil meines Lebens in Augsburg, dass sie vermutlich immer mitschwingen wird. Materielle Dinge, Bücher, Bilder, Fotos, USA-Tassen von ihr, umgeben mich in meiner Wohnung. Erinnerungen ploppen auf. Es macht mich melancholisch, aber überwiegend freue ich mich darüber, so viel mit ihr geteilt zu haben.

Anfang November haben ein paar gemeinsame Freunde eine Abschiedsfeier für sie organisiert. Es sind viele Menschen aus ihrem Leben zusammen gekommen und es war eine richtig schöne Feier. Alte Freunde und Bekannte, die sich aus den Augen verloren hatten, haben sich wieder gefunden, die vergangenen Jahre überbrückt, sich aneinander erfreut und Geschichten ausgetauscht. Manch eine verloren gegangene Freundschaft wurde wieder aufgefrischt und bekommt die Chance neu aufgebaut zu werden.

Zu dritt haben wir Charlottes Wohnung geräumt. Wir hatten ein wenig Angst davor und am Ende war es ein wunderbares Miteinander. Ein Lachen, eine Erinnerung, ein Stöhnen ob des 30. Paar Schuhe, der 7. Tube Handcreme. Ein Teilen von Emotionen und eine Erleichterung es gemeinsam zu machen. Gestern, am ersten Weihnachtsfeiertag haben wir zusammen gegessen und Charlotte ein wenig mit in unsere Mitte genommen.

Vielleicht werden einige dieser neuen Freundschaften andauern, vielleicht auch nicht. Etwas Schönes ist auf jeden Fall daraus entsprungen und so soll es sein.

Das Jahr und sein Ausblick

Ja, im Rückblick ist einiges Trauriges herauszulesen. Aber eben auch so viel Positives, so viel Schönes, das aus den Abschieden gewachsen ist. Mir ist in diesem Jahr 2022 mehr denn je die Endlichkeit ins Bewusstsein gerückt. Und auf der anderen Seite die Erkenntnis, das Leben zu nehmen wie es kommt und zu genießen, wann immer sich die Gelegenheit bietet.

Ich bin dankbar für all die Erfahrungen und Emotionen, die das Jahr mir gegeben hat. Für die Reisen, die mir möglich sind, für all die tollen Begegnungen und Erlebnisse. Und für die Menschen in meinem Leben, die vermeintlich so selbstverständlich sind, es aber nicht sind.

Auch wenn es egoistisch erscheinen mag, ich bin froh, dass ich auch für die Zukunft wieder Reisen planen kann und nicht warten muss, bis ich in Rente bin. Wir leben jetzt und gerade 2022 hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, sich das bewusst zu machen.

Wir werden sehen, was das nächste Jahr bringt. Vielleicht auch wieder eine Reise in ein fernes Land. Ich hoffe auf die ein oder andere Wanderung in den Bergen und anderswo.

Und auf jeden Fall Treffen mit Freunden, Verwandten, Bekannten und vielleicht noch Unbekannten 🙂

Auf ein schönes Jahr 2023!

 

3 Gedanken zu „Das Leben, Highlights, Abschiede, kleine Fluchten – ein emotionales Jahr 2022“

  1. Liebe Claudia,

    danke dir für diesen sehr persönlichen Rückblick.

    Bei den ‚virtuellen Mitreisenden‘ musste ich an eine liebe Person denken, die wir auf Mallorca kennenlernten. Wir hatten nur eine recht kurze Zeit miteinander, denn dann stellte sie sich in Deutschland dem Krebs entgegen. Sie schrieb mir kurz vor ihrem Tod, dass es für sie sehr wichtig und schön sei, durch unsere Fotos auf Instagram an unserem Leben teilhaben zu können.
    In solchen Momenten zeigt Social Media, wie es ein guter Platz sein kann.

    Alles Liebe und beste Wünsche für 2023,
    DoSchu

  2. Liebe Claudia,
    wunderschöne Worte und Bilder von einem bewegenden und bewegten Jahr.
    Ich bin gespannt, auf welche Reisen dich das Jahr 2023 mitnehmen wird und zu welchen Orten es dich hinzieht.

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