Blick zurück, Erinnerungen an die Erfüllung eines lang gehegten Traumes Teil 1

Es gibt Träume und Träume.

Träume, die solche bleiben (sollten), die einen lange im Leben begleiten, weil sie einfach so schön zum Träumen sind und keinem anderen Zweck dienen, als der Welt für eine Weile zu entfliehen.

Und dann die Träume, deren Verwirklichung möglich ist, für die es eine Zeit gibt sie umzusetzen. Manchmal gelingt auch das ein Leben lang nicht, aber ich hatte das Glück oder sagen wir den Mut, genau das zu tun.

Das ist jetzt ziemlich genau 10 Jahre her und der Grund, warum ich gerade jetzt so sehr daran denken muss. Die Erinnerungen ploppen auf. Fast täglich schaue ich nach, wo ich an diesem Tag vor zehn Jahren gerade mein Zelt (manchmal tatsächlich) aufgeschlagen hatte.

Voran gegangen war damals eine monatelange Entscheidungsphase mit vielen Zweifeln und Ängsten. Schließlich wollte ich aus einem richtig guten Job aussteigen, ohne Sicherheitsnetz  und zu einem Zeitpunkt, als es mir noch richtig Spaß machte. Aber irgendwas brodelte und nach einem kurzen professionellen Coaching (kann ich übrigens nur empfehlen) wurde das Bauchgefühl bestätigt.

Ich hatte das sicher schon in einem früheren Beitrag mal erwähnt, dass es interessant war zu beobachten, wie sehr sich meine Ängste bezüglich Jobauflösung unterschieden von denen in meinem Umfeld. Die meisten meiner Freunde hatten Sorge, dass ich in meinem Alter (ich war damals 49) später keinen Job mehr finden würde. Ihre Ängste zielten ganz klar auf Existenzsicherheit ab. Ja, wenn man von tollen ‚Aussteiger-Erfolgs-(Selbstverwirklichungs)-Geschichten‘ hört, dann handelt es sich meistens um Menschen, die vorher einen super bezahlten Job hatten und genügend Geld oder Bekanntheitsgrad, um sich nicht wirklich Sorgen machen zu müssen. Bei mir reichte es finanziell für ein Jahr Auszeit und die große Reise, das wars. Angst machte mir das keine. Ich dachte, irgendeinen Job werde ich dann schon wieder finden.

Meine Ängste waren ganz anders gelagert. Ist es genug, wenn ich nur noch ‚ich‘ bin. Ohne Beruf, ohne Beziehung, ohne Familie (wobei ich schon lange auch Freunde als Familie empfinde). Einfach nur ich.

Vielleicht ist hier der Punkt, an dem ich meinen inzwischen erfüllten Traum beschreiben sollte.

Dass ich ein Fan von Reisen in die USA bin, ist hier im Blog wohl bekannt. Ich hatte den Traum, einmal quer durch die USA zu reisen. Alleine, mit Auto und Zelt. Starten an der Ostküste, mit den Füßen im Atlantik, enden an der Westküste mit den Füßen im Pazifik. Dazwischen alles offen. Ich hatte mir knapp drei Monate Zeit dafür vorgenommen. Es wurden dann acht Wochen, ‚the time of my life‘ und die Erkenntnis ‚ja, es genügt einfach ich zu sein‘.

Letztlich hatte ich ein gutes halbes Jahr Vorbereitungszeit, in der ich noch mit Freude und Engagement gearbeitet habe.

Die ersten vier Wochen

Am 5. September 2011 flog ich mit meiner langjährigen Freundin Charlotte nach Boston. War der Plan ursprünglich, die Reise komplett alleine zu machen, so fand ich es letztlich toll, dass die ersten beiden Wochen zu zweit statt fanden. Wir waren ein eingespieltes USA-Reiseteam und es fühlte sich gut an, an unsere erste gemeinsame USA-Reise von 1992 durch Neu England anzuknüpfen.

Zwei Wochen fuhren wir durch die Neu England-Staaten, baden im Atlantik inbegriffen, bis zu den Niagara Fällen in Kanada. Etliche Jahre zuvor waren wir schon einmal zusammen da, im Rahmen einer Umrundung der Großen Seen. Die letzten gemeinsamen Tage verbrachten wir in unserer beider Lieblingsstadt Chicago. Irgendwie war es eine ziemliche Revival-Tour für uns und auch die bisher letzte gemeinsame USA-Reise. Wehmütig war ich schon ein wenig, als ich Charlotte an der Metrostation zum Chicagoer Flughafen abgesetzt hatte. Und zugleich ziemlich aufgeregt.

Boston Hancock Tower

Niagara Falls
Zeltabbau am Morgen vor Charlottes Abflug
Sonnenuntergang am Lake Michigan

Denn nicht nur musste ich von nun an alleine durch Chicago manövrieren, mein nächstes Ziel an diesem Tag war eine Farm in Wisconsin. Etwa eineinhalb Jahre zuvor hatte ich auf der damals noch jungen und spannenden Social Media Plattform Facebook eine US-Amerikanerin ‚kennengelernt‘. Sie kommentierte dort bei einem gemeinsamen ‚Freund‘, den wir beide bis heute übrigens nie persönlich getroffen haben. Ich schaute mir ihr Profil an, verfolgte ein wenig ihre Aktivitäten und fand sie eine interessante Person. Also schrieb ich sie an, erklärte warum ich mehr über sie wissen wollte und fragte, ob sie meine ‚Freundin‘ werden wolle. 2009 war das Netzwerk noch relativ jung, die Kontakte wenig und ich nahm das mit den Freundschaften schon ernst.

Sie fand meine Anfrage toll und spannend eine Freundin in Deutschland zu haben. In den nächsten Monaten wurden wir das, was man früher Brieffreundinnen nannte. Wir schrieben uns seitenlange Nachrichten und erzählten aus unseren Leben, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Sie hatte an allen meinen Entscheidungen großen Anteil und ermutigte mich meinen Traum zu erfüllen.

Die Abendsonne leuchtete mir mein erstes Mal den Weg „nach Hause“

Es war dann natürlich klar, dass ich einen Stop auf der Farm in Wisconsin bei meiner großen Reise würde einplanen müssen. Und es war auch klar, dass ein persönliches Treffen zwischen uns völlig schief gehen konnte. Beim Schreiben können wir völlig andere Menschen sein. Die Nervosität war auf beiden Seiten groß. Ich sagte mir unterwegs immer wieder Mantra-artig vor ‚wenn sie doof ist, dann kannst du gleich morgen früh weiter fahren, hast ja schließlich noch einen weiten Weg bis an die Westküste‘.

Mein erstes Mal auf einem Pferderücken

Was soll ich sagen, ich blieb neun Tage und hätte ich nicht einen Traum zu erfüllen gehabt, ich wäre zwei Monate geblieben 😉 . Ein Jahr später bin ich wieder hin und in den vergangenen acht Jahren noch dreimal. Wir nennen es ‚my home away from home‘. Hier habe ich meine große Hundeliebe auf den ersten Blick getroffen. Bei Abreise habe ich gefühlt zwei Stunden in Auto gen Westen gesessen und geheult, sicherheitshalber nicht angehalten, aus Angst wieder umzukehren. Abends im Zelt auf einem einsamen Campingplatz irgendwo in Iowa kam ich mir schon sehr verlassen vor.

Scooter am Tag meiner Abreise

Von Iowa bis Colorado

Der erste Abend alleine, irgendwo in Iowa 🙂

Aber am nächsten Morgen beim Frühstück mit Rehbesuch war ich voller Vorfreude auf das, was nun kommen mochte. Ich könnte sagen, das Abenteuer begann.

Ich hatte mich auf keine Route festgelegt und wollte mich so ein bisschen nach Lust, Laune und eventuell Wetterbericht treiben lassen. Letztlich habe ich mich für eine südliche Überquerung der Rocky Mountains entschieden, weil es ja schon Anfang Oktober war und im Norden der Winter einkehren würde. Abends oder morgens saß ich meist mit der Straßenkarte bewaffnet vor meinem Zelt und studierte mögliche Routen. Selten kommt für mich mehr Gefühl von Freiheit auf.

Von Iowa ging es über Missouri und Kansas entlang endloser Kornfelder und Rinderfarmen in vier Tagen bis ins südliche Colorado. Zum Übernachten hatte ich mir immer kleine State Parks ausgesucht, die einfache Campingplätze hatten. Immer ein bisschen gruselig einsam, aber trotz recht eintöniger Landschaft fand sich meist ein schönes Plätzchen. In den Wettervorhersagen wurde dann wider Erwarten ein früher Wintereinbruch in den südlichen Rockies angekündigt.

Mein erstes Ziel in Colorado sollten die Great Sand Dunes sein. Dort wollte ich schon immer mal hin, ebenso wie zum Mesa Verde National Park.

In der Ebene bei den Sand Dunes kam so ein heftiger Sturm auf, dass ich kaum die Autotüre öffnen konnte, geschweige denn eine Wanderung zu den hoch aufragenden Sanddünen. Es wurde dann nur ein kurzer Spaziergang im Wald bis es anfing zu hageln. Zelt aufbauen war natürlich utopisch, deshalb gab es eine Nacht im Motel. Klein, günstig und gruselig. Hitchcock hätte seine Freude gehabt. Immerhin, der Fernseher ging und nebenan gab es ein Family Diner.

Great Sand Dunes

Am nächsten Morgen sah man in der Ferne die verschneiten Berge, die es heute über einen hohen Pass zu überqueren galt. Mein Mietauto war ein kleiner Ford Focus ohne Winterausrüstung. Bei uns wäre ich das Risiko nicht eingegangen, also bin ich auf die Rangerstation und habe nach dem Zustand der Passstraße gefragt. Die lakonische Antwort war ‚es sind heute schon Autos vom Pass runter gekommen, you’ll be fine‘. Aha. Beruhigend. Nicht unbedingt.Okay, die Pässe in den Rocky Mountains sind nicht mit denen in den Alpen zu vergleichen. Wesentlich breitere Straßen, keine Kehren, sondern lang gezogene Kurven, deshalb nicht so steil, wenig Verkehr, viel Platz. Dennoch war ich eher angespannt auf festgefahrener Schneedecke bergab zu fahren und so konzentriert, dass ich die beeindruckende Landschaft erst weiter unter, als die Straße wieder frei war, wahrnehmen konnte. Alles gut gegangen.

Durch die Nationalparks des Südwestens

Auf zum Mesa Verde NP, der immerhin auf einer Höhe von 2500 Metern liegt. Hatte ich nicht recherchiert vorher. Ich wollte aber unbedingt im Park direkt auf dem Campingplatz übernachten, der mit einem kleinen Cafe mit WiFi und heißen Duschen ausgestattet war. Schon bei der abendlichen Ankunft waren es kalte 10 Grad und alle tapferen Camper trafen sich im Cafe. Ich bin irgendwann in der Nacht ins Auto umgezogen, weil das Zelt steif gefroren war und das Thermometer 5 Grad minus anzeigte. Morgens gab es eine heiße Dusche, yippie, frischen heißen Kaffee im Cafe und die diversen Überlebensgeschichten aus der eisigen Nacht :-).

Am nächsten Tag Sonne und ein landschaftlich überraschend phantastischer Nationalpark.

Mesa Verde

Weiter ging es zu den bereits mehrfach bereisten und bekannten Nationalparks des Südwestens. Canyonlands mit Needles, Arches inklusive Sonnenuntergangstour zum Delicate Arch, Capitol Reef, Bryce Canyon, Zion. Über die grandiosen Naturdenkmäler des Canyonplateaus muss ich eigentlich nicht viel sagen. In Colorado hatte ich mich im Liquor Shop noch mit Wein und Bier versorgt, was den Verkäufer veranlasste zu fragen, was ich denn mit dem vielen Alkohol wolle. So viel war es übrigens nicht. Als ich ihm sagte, dass ich jetzt rüber nach Utah fahren würde, sagte er nur verständnisvoll ‚oh, yes, then…‘. In Utah ist Alkohol verboten.

Campingplatz bei den Needles

Im Arches NP

Capitol Reefs NP
Unterwegs
Bryce Canyon

Canyonlands Needles war mir bei früheren Besuchen immer zu abgelegen, es war also mein erster Besuch dort. Ich war begeistert, hatte einen tollen Campingplatz und eine längere Wanderung unternommen. Dort und im Capitol Reef war relativ wenig los, im Gegensatz zu Bryce Canyon, Arches und Zion NP, die trotz Mitte Oktober völlig überlaufen waren.

Seit der Fahrt aus Wisconsin waren zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 10 Tage vergangen und ca. 3400 Kilometer gefahren. Übernachtet hatte ich einmal im Motel, sonst immer im Zelt. Lange Strecken durch den Mittelwesten lagen hinter mir und ein Stück des historischen Santa Fe Trails hat mich begleitet. Glücklicherweise wurde ich des Fahrens nicht müde, fasziniert hat mich eigentlich alles. Vielleicht die weite Einsamkeit der großen Rinderfarmen besonders, weil ich das noch nicht kannte und mir das Land im Verständnis näher brachte. Ein wenig Wild-West-Klischee kann ich nicht leugnen.

Beeindruckend natürlich die Berge und nach fünf eisig kalten Nächten in Colorado und Utah war ich mir nicht sicher, ob ich mich bewundern, bedauern oder ein wenig für verrückt erklären sollte. Entschädigt wurde ich durch traumhaft klare sonnige Tage und atemberaubende Landschaft.

Auf den Campingplätzen in den Nationalparks war es nicht mehr so einsam und ich bin immer wieder mit netten Menschen ins Gespräch gekommen. Meist über den Weg des Bedauerns, wenn ich entweder abends in mein kleines Zelt gekrochen bin oder morgens leicht zerknautscht wieder hinaus 😉 . Es hat mir die ein oder andere Frühstücks-Kaffee-Einladung in einem klassischen US-amerikanischen Motorhome mit Heizung eingebracht.

Mein Plan war es zu diesem Zeitpunkt endlich einmal im Zion NP zu übernachten und eine längere Wanderung zu unternehmen. Nicht gerechnet hatte ich mit den Menschenmassen dort Mitte Oktober. Nachdem ich beim Durchfahren noch nicht einmal einen Parkplatz ergattern konnte und ich sowieso keine Lust mehr auf eine weitere kalte Nacht hatte, bin ich kurzentschlossen Richtung Las Vegas gefahren.

Dazu dann mehr in einem zweiten Teil. Von Las Vegas an die Pazifikküste, die Änderung des Reiseplans, dem einzigen Wermutstropfen der Reise und ein überraschender Abschluss.

 

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